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Familie Moises

7.065 Bytes hinzugefügt, 00:12, 14. Nov 2013
Redetext Breiding
An der Realisierung der Tafel beteiligten sich die Sparkasse im Vest, Heimatverein, Freiwillige Feuerwehr, Schützenverein.
 
==Redetext Wolfgang Breiding==
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Wulfener Bürgerinnen und Bürger,
liebe Anwesende,
zunächst möchte ich mich Ihnen vorstellen, mein Name ist Wolfgang Breiding.
Als Mitglied der Geschichtsgruppe des Heimatvereins Wulfen möchte ich Sie
– auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen der Geschichtsgruppe –
ebenfalls recht herzlich begrüßen.
 
Aus Anlass des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10.
November 1938 möchten wir heute mit Ihnen zusammen eine
„Stunde des stillen Gedenkens an die Familie Moises aus Wulfen“
einlegen.
 
Zugleich möchten wir Ihnen einige erläuternde Hinweise zu der Geschichte
dieser jüdischen Wul fener Familie Moises geben. Wir haben uns in der
Geschichtsgruppe bereits seit einiger Zeit mit der Geschichte dieser Familie
befasst und, wir möchten unsere Erkenntnisse gerne an Sie weitergeben.
Der Stammbaum der jüdischen Familie „Moises“ geht bis zum Ende des 1800.
Jahrhunderts zurück. Der Ahnherr der Wulfener Linie, Abraham, wurde im
Jahre 1766 geboren. Er war verheiratet mit Juttela Michael, gen. Gudel. Er
erhielt im Jahre 1800 vom Fürsten Salm-Salm in Ahaus einen Geleitbrief, mit
dem er von Anholt an der niederländischen Grenze nach Wulfen zog. Die
Familie ist somit wohl die nachweisbar älteste jüdische Familie im heutigen
Dorsten.
Abraham war Metzger und Händler. Mit der Kiepe auf dem Rücken betrieb er
zunächst einen Kleinhandel in Wulfen, bis er im Jahre 1820 ein
Manufakturwarengeschäft eröffnete. Das Dorf Wulfen zählte zu diesem
Zeitpunkt etwa 1.000 Bewohner. Er starb im Jahre 1856 und wurde auf dem
jüdischen Friedhof in Wulfen „Auf der Koppel“ begraben.
Sein im Jahre 1819 erstgeborener Sohn Moses übernahm das elterliche
Geschäft, war also auch Händler und Metzger. Per Kabinettsorder der
preußischen Regierung wurde am 31.10.1845 die Liberalisierung der
Namensregelungen eingeführt. Das hieß, dass alle Juden einen „festen
vererbbaren Namen“ annehmen mussten. Da man Moses im Wulfener Dialekt
„Moises“ aussprach, wollte er gerne diesen Namen behalten. So hat ihm der
damalige Bürgermeister „Amtmann“ Franz Brunn folgenden Vorschlag
gemacht:
Vorname Moses
Hausname Moises.
Daraus hat sich im Volksmund dann der Name „Moises Moises“ entwickelt.
Moises Moises lebte mit seiner Frau Henriette Wertheim unbeschwert in
Wulfen und wurde – wie auch seine Frau – in Wulfen auf dem jüdischen
Friedhof beerdigt.
 
Die nachfolgende Generation mit Meier Moises, der 1862 in Wulfen geboren
wurde, brachte mit seiner Frau Johanna Jacob sieben Kinder zur Welt. Davon
starben drei im Kindesalter, die ebenfalls auf dem jüdischen Friedhof in Wulfen
begraben wurden.
Über Meier Moises wissen wir, dass er 1882 Schützenkönig des Allgemeinen
Bürgerschützenvereins Wulfen und lange Jahre Mitglied der Freiwilligen
Feuerwehr Wulfen war. Er war also festes und geachtetes Mitglied der
dörflichen Wulfener Gemeinschaft. Er wurde im Jahre 1937 in Frieden in
Wulfen auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.
Diese Eingebundenheit in das Gemeinschaftsleben setzte sich mit seinem Sohn
Josef und seinen Töchtern Henriette (Jettchen genannt), Paula und Adele zunächst
fort. Auch hier wissen wir, dass Josef Moises im Jahre 1922 Mitbegründer des
Heimatvereins Wulfen 1922 e.V., Mitglied des Schützenvereins und der
Freiwilligen Feuerwehr war. Adele wurde 1930 vom damaligen Schützenkönig
Bernhard Osterkamp zur Ehrendame gewählt.
Das hier an dieser Stelle errichtete Haus wurde von Josef Moises im Jahre 1930
erbaut. In diesem Haus fand die Familie aber nur für kurze Zeit ihr Glück. Im
Jahre 1938 wurde die Familie Moises von den ideologisch verblendeten
Nationalsozialisten gedemütigt und misshandelt. Sie wurde gezwungen, das
Haus und das darin eingerichtete Textilgeschäft an eine Familie aus Raesfeld zu
verkaufen. Adele Moises wurde aus dem Dorf getrieben. Sie und ihre
Schwester Paula wurden in das Konzentrationslager nach Riga deportiert und
kamen dort ums Leben.
 
Josef Moises und seiner Frau Senta gelang es, nach Palästina auszureisen. Dort
baute er mit ihr eine Obstplantage auf. Er blieb trotz aller erlittenen Gräuel
seinem Heimatdorf Wulfen zutiefst verbunden. Im Jahre 1985 wurde er in
Israel zu Grabe getragen. Seine Frau Senta fand ebenfalls einige Jahre später
dort ihre letzte Ruhe.
Von Miriam, der Tochter der beiden, die bereits in Israel zur Welt kam, wissen
wir, dass sie mit Moshe Yust verheiratet war. Von ihm erfuhren wir kürzlich,
dass sie im Jahre 1997 verstorben ist. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor,
die insgesamt 14 Kinder haben. Tröstlich, wenn man das in diesem
Zusammenhang sagen darf, ist die Tatsache, dass es dem Hitler-Regime nicht
gelungen ist, die gesamte Familie auszulöschen.
 
Das Gebäude wurde 1960 von der Sparkasse Vest Recklinghausen gekauft.
Seitdem wird es von der Sparkasse als Geschäftsstelle Wulfen genutzt.
Wir wollen heute mit der Anbringung dieser Gedenktafel an die jüdische
Familie Moises erinnern. Nationalistisches Denken und Handeln beendeten das
jüdische Gemeindeleben dieser Familie.
 
Wir möchten an dieser Stelle nicht richten oder Anklage erheben, aber viele
haben damals weggeschaut, Hilfe unterlassen und nicht zu ihnen gestanden, als
sie gewaltsam aus unserer Mitte gerissen wurden.
Was unsere Generation und die folgenden daraus lernen sollen, ist, dass sich
solches Unheil nie wieder ereignen möge.
Wir gedenken ihrer in Ehrfurcht und tiefer Verbundenheit.
Wir gedenken heute auch der damals in Wulfen ansässigen jüdischen Familie
Lebenstein, die ebenfalls ein tragisches Schicksal erleiden musste. Im Jahre 2007
wurden ihr zum Gedenken an der Matthäuskirche „Stolpersteine gegen das
Vergessen“ verlegt. Reinhard Schwingenheuer, Mitglied unserer Geschichtsgruppe,
hat seinerzeit als Klassenlehrer an der Gesamtschule Wulfen mit seiner
Schulklasse dieses Thema aufgearbeitet. Als Zeichen unserer Verbundenheit
legen wir h e u t e in Erinnerung an diese Familie eine Blume auf die
eingelassenen Steine.
 
Abschließend darf ich mich im Namen des Heimatvereins Wulfen recht herzlich
bei der Sparkasse Vest Recklinghausen Geschäftsstelle Wulfen, namentlich bei
Herrn Direktor Matthias Feller, für die großzügige finanzielle wie ideelle
Unterstützung bedanken.
Unser Dank gilt auch dem Allgemeinen Bürgerschützenverein Wulfen wie der
Freiwilligen Feuerwehr Wulfen, die uns in jeder Weise, finanziell wie ideell
geholfen haben. Eine Verwirklichung unseres Vorhabens hätte sich in diesem
Rahmen ohne diese genannten Unterstützer sicher nur schwer verwirklichen
lassen.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. Ich darf nun das Wort zunächst
weitergeben an Herrn Bürgermeister Lambert Lütkenhorst.
Danach bitte ich Herrn Matthias Feller von der Sparkasse Vest Recklinghausen,
ein Grußwort an die Anwesenden zu richten.
Im Anschluss daran wird Herr Isaak Tourgman, Kantor und Vorbeter der
Jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen, ein Gebet für die jüdischen
Familien Moises und Lebenstein sprechen.
==El Male Rachamim==
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