Requiem für die Barkenberger Mondlaterne / von T. Kipp

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In alten Zeiten, als Lichtverschmutzung noch unbekannt war, konnte man offenbar der Ansicht sein, dass Laternen ihr Licht auch nach oben abstrahlen sollten. Es ist zu hoffen, dass die Anzahl der Menschen sinkt, die Umweltzerstörung als Kulturgut betrachten. Also hier der historische Text (ohne Korrektur der Fehler inhaltlicher oder orthographischer Art):




Aufnahme 2006, Höhe Talaue, Blick nach Süden
Henkelbrey / Südheide Jan. 2010

In einer meiner schönsten Kindheitserinnerungen trete ich hinaus auf den Napoleonsweg. Es ist gegen 18 Uhr und es dämmert. Ich schaue nach rechts und links den Napoleonsweg hinauf. Genau in diesem Moment schalten sich die Mondlaternen an. Hunderte von Laternen bilden eine Kette von leuchtenden Monden, wie ein Laternenzug. Irgendwo hinter der zweiten Brücke verschmelzen die leuchtenden Kugeln zu einem feinen Strich. Ich habe seitdem keine andere Stadt besucht in der ein ähnliches Lampenmodell so flächendeckend verbaut wurde. Die kugelrunden Laternen werfen ein angenehmes und fahles Licht, das nicht wie bei Straßenbeleuchtungen üblich einen drückenden, schattigen Lichtkegel nach unten wirft, sondern in alle Himmelsrichtungen gleichmäßig strahlt.

Eine ähnliche Außenbeleuchtung findet man sonst nur bei Katastropheneinsätzen des THW und auf Filmsets in denen das Licht einer klaren Vollmondnacht dargestellt werden soll. Man pumpt große Ballons mit Helium auf und schaltet im Balloninneren kräftige Strahler an. So möchte man die besonderen Eigenschaften des Mondlichts imitieren, die darin bestehen, dass es keine Schatten wirft. Eine ganze Stadt in schattenloses Licht gehüllt, das war ein Teil der Magie des nächtlichen Barkenberg. Als wäre das Mondlicht in dieser Stadt einfach ein bisschen stärker. Meine Mutter erzählte mir mal, sie sei eines nachts aufgewacht und habe aus dem Fenster geschaut und sich gefragt warum der Mond so besonders tief stehe und erst nach einigen Augenblicken sei ihr aufgefallen, dass es sich bei dem Mond um die Straßenlaterne vor unserer Wohnung handele. Das Barkenberger Mondlicht.

Ein Schock also, als ich zu meinem Weihnachtsbesuch nach Barkenberg kam und feststellte, dass der Stadtteil dieser würdevollen Straßenbeleuchtung beraubt wurde. Die Mondlaternen wurden, wahrscheinlich aus den üblichen ökonomischen Gründen durch das wahrscheinlich preisgünstigste Modell aus Plastik ersetzt. Man hat den Mondlaternen kurzerhand den Mondkopf abgeschnitten und einen neuen Standardkopf aufgeflanscht. Ich bin an diesem Tag völlig fassungslos durch Barkenberg gelaufen, von der Dimker Allee bis zur Hasenheide, vom Wiesenstück bis zum Gecksbach, überall hat man angefangen die Mondlaternen abzumontieren. Dass man dabei das Gesicht einer ganzen Stadt verändert scheint vollkommen nebensächlich. Es rührt sich kein Protest, den meisten Menschen scheint es noch nicht einmal aufzufallen. Es ist eine dezente, aber entscheidende Veränderung.

Als Barkenberg in den 60 er Jahren geplant und gebaut wurde, geschah dies mit dem Anspruch und im Geiste einer die gesamte Gesellschaft erfassenden Erneuerungsbewegung. Die erste Stadt ohne Schornsteine, da alle Häuser an das Fernwärme- und Stromnetz angeschlossen waren, eine Stadt in der Autoverkehr und Fußgänger strickt voneinander getrennt sind, da alle Strassen untertunnelt oder überbrückt sind. Teile dieses idealistischen Geistes haben sich in vielen liebevollen, gestalterischen Details bis heute erhalten und wirken fast historisch, da sie so sehr dem Zeitgeist entgegenlaufen. Leider dauert es oft zu lange bis Kulturgut als solches erkannt und als schützenswert erachtet wird, und viel Kultur wird vernichtet bis es zu einem Denkmalschutz kommen kann.

Man kann nur hoffen dass im weiteren "Umbau" der Neuen Stadt Wulfen (www.stadtumbau-barkenberg.de), einwenig mehr dem idealistischen Geist Architekten entsprochen wird. Werden die Planer und Ausführer des Umbaus weiterhin so respektlos mit dem architektonischen und städtebaulichen Erbe Barkenberg verfahren, wie sie es bei der Straßenbeleuchtung getan haben, also weiterhin im Geiste einer blinden Ökonomisierung und Rationalisierung verfahren, wird Barkenberg nach dem Umbau nicht mehr als ein weiterer gesichtsloser Vorort sein, wie er überall und in jeder Stadt zu finden ist.

Tobias Kipp, Berlin

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