Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen / Rudolf Plümpe: Unterschied zwischen den Versionen

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verbreitete Hoffnung und Zuversicht. Aber die dunklen Wolken am Horizont der  
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deutschen Kohle verdichteten sich.
deutschen Kohle verdichteten sich.


Georg Wittwer hat es 1980 in dem Buch "Das andere Wohnen" kurz und bündig so
Georg Wittwer hat es 1980 in dem Buch "Das andere Wohnen" kurz und bündig so
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Den kräftigen Schub in Richtung Eigenheim brachte "Die Deutsche Fertighausausstellung  
Den kräftigen Schub in Richtung Eigenheim brachte "Die Deutsche Fertighausausstellung  
Wulfen 1970".
Wulfen 1970".
Die Ausstellung erwies sich als Glanzpunkt der Aufbaujahre und lockte vom 15. Mai
bis zum 20. September 1970 rund 250 000 Besucher nach Wulfen. Beteiligt waren
13 Firmen mit 24 Häusern. Das lnteresse galt nicht,nur den Angeboten der
Fertighausindustrie, sondern auch der Stadtentwicklung. Nun war das freistehende
Einfamilienhaus - möglichst noch mit Schrebergartenidylle - nicht der Schwerpunkt des
Neu-Wulfener Wohnungsbaus, vielmehr hatte das Wort "Verdichtung" hier besonderen
Stellenwert. Die Veranstalter, Wohnzeitschrift "zuhause", Bundesverband Montagebau
und die EW fanden eine Lösung mit einer in sich geschlossenen Einfamilienhausgruppe
im StiI von Gartenhofhäusern, die sich später gut verkaufen ließen.
Und die entstehende Stadt hatte weitere städtebauliche Paradepferde zu bieten, die
sie zum Mekka für Architekturstudenten werden ließen. Die Bezeichnung
,,demonstrative Versuchsbauten" deutete darauf hin, dass Risiken mit im Spiel waren.
Metastadt ist hier an erster Stelle zu nennen, der Prototyp eines industriell
gefertigten Montagebausystems, 1973l74 gebaut. Eine Stahlkonstruktion bildet das
Tragwerk, in das die Ausbausysteme eingefügt werden. Das für variable Nutzungen
konzipierte Gebäude enthält etwa 100 Wohnungen, Geschäfte, Büros und einen
Kindergarten. Aber schon nach 13 Jahren musste Wulfens spektakulärster Versuchsbau
abgebrochen werden. Aus der "Überstadt" (so die Übersetzung aus dem Griechischen
war ein Demonstrationsobjekt für Bausünden geworden. Architekt Richard Dietrich
aus München muss auf die "Saupreußen" furchtbar geschimpft haben:
lndem sie Sozialen Wohnungsbau daraus machten, hätten sie den Clou des ganzen,
die Flexibilität der Wohnraumaufteilung, zerstört. Dietrich soll sich schmollend
in einen bayrischen Schlupfwinkel zurückgezogen haben. Dort ist er dem Vernehmen
nach Anhänger des biologischen Bauens geworden.
Erst hochgelobt - dann gnadenlos runtergeputzt. Fast genauso erging es Habiflex,
dem Ojekt der Gelsenkirchener Architekten Klement und Gottlob. 40 bungalowartige
Wohnungen zu einem Baukörper mit offenem Treppenhaus im lnneren - das sei eine
tolle ldee, bestätigten alle Architektenkollegen. Besondere Attraktion ist hier der
,,Gelsenkirchener Balkon". Er besteht aus faltbaren Türen und Fenstern, die sich auf
Gleitschienen bewegen lassen. So kann der Balkon im Winter dem Wohnzimmer
zugeschlagen werden. Vorausgesetzt, die Technik funktioniert. Habiflex hatte den
großen ,,Schönheitsfehler", dass an vielen Stellen Wasser eindrang. So ging das
Gebäude als "Tropfsteinhöhle" in die Wulfener Baugeschichte ein.
Am wenigsten spektakulär, aber dafür solide und von dauerhaftem Wert: Finnstadt,
ein Projekt von Toivo Kohonen aus Helsinki. Es handelt sich um Eigentumswohnungen mit
großzügigen Terrassen als Alternative zum Eigenheim.
Auch wenn hier nur punktuell auf einige Besonderheiten und herausragende Ereignisse
der Stadtentstehung eingegangen wird, so sollten doch ein paar Fakten erwähnt
werden, die ihr verdientermaßen das Prädikat "modellhaft" einbrachten:
*der Grünaufbau im Einklang mit der Natur
*gesonderte Fußwege, die - vor allem Kindern - Schutz vor dem Kfz-Verkehr gewährleisten
*Gemeinschaftshaus mit Freizeitbadanlage

Version vom 13:31, 14. Feb 2009

Dieser Text des Dorstener Chefredakteurs erschien 1999 in der Sonderbeilage "50 Jahre RUHR-NACHRICHTEN".
Von Rudolf Plümpe stammt außerdem eine sehr informative neunteilige Zeitungsserie "Neu-Wulfen : Von der Modellstadt zum Stadtteil" in den Ruhrnachrichten (Lokalausgabe Dorsten), ab 27.12.1989



Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen

Die Entstehung der neuen Stadt Wulfen war das größte kommunale Ereignis Dorstens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen beginnt mit der Kohle. Die Zechengesellschaft Mathias Stinnes AG wollte angesichts ihrer langsam zu Ende gehenden Kohlereserven das "schwarze Gold" aus den reichhaltigen Lagerstätten in Wulfen gewinnen. Dazu brauchte man Arbeitskräfte, also bestand Wohnraumbedarf.

Die Größenordnung richtete sich nach den veranschlagten Zahlen: Es sollte eine Großschachtanlage mit 12 000 Tagestonnen ververtbarer Forderung werden. Die dazu erforderliche Belegschaft hatten die Stinnes AG und der damals für Landesplanung zuständige Ruhrsiedlungsverband mit 5 000 Mitarbeitern eingeschätzt, einschließlich der Familien rund 20 000 Bewohner. Dazu ein bisschen Landwirtschaft, so genannte Ausgleichsindustrie und Dienstleistungsberufe ergaben unterm Strich 50 000 Einwohner. Um dafür Wohnraum zu schaffen, wurde Neu-Wulfen geplant.

Allerdings standen solche Überlegungen, noch bevor sie konkreter wurden, vor einem zwiespältig-widersprüchlichen Hintergrund. Auf der einen Seite Bevölkerungszunahme des Reviers rnit verstärkter Randwanderung aus den Großstädten in Richtung Norden und allgemein günstige Entwicklung der Wirtschaft - auf der anderen Seite seit 1957 Strukturwandel bei der Steinkohle mit anhaltender Absatzkrise. Trotzdem wird mit einem - seinerzeit auch sicher berechtigten - Optimismus an der Stinnesplanung mit ihren städtebaulichen Folgen festgehaiten.

Ein interessantes Zeitdokument, das "Sonderheft Wulfen" der Stinnes-Betriebe, spiegelt die damalige Stimmungslage eindruckvoll wider. Das Titelfoto des Heftes zeigt Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard, eingerahmt von NRW-Minister Kohlhaase und Generaldirektor Kemper auf dem Weg zur Besichtigung der Abteufanlage. lm Texteil ist die Rede vom 23. Juni 1958, der mit ehernen Lettern in die Geschichte der Bergwerksgesellschaft eingetragen werde und auch in die Annalen des westdeutschen Steinkohlenbergbaus als der Tag, an dem erstmalig nach dem 2. Weltkrieg wieder ein erster Spatenstich zu einer Großschachtanlage vollzogen urrd der erste Bergekübel zu Tage gebracht wurde.

Es war sehr feierlich: Fahnen schmückten die Einfahrt von der B 58 zum Zechengelände und unter den Ehrengästen sah man Cläre Hugo Stinnes-Wagenknecht, Bischof Keller aus Münster, IGBE-Chef Gutermuth, Amtsbürgermeister Hatkämper und Wulfens Bürgermeister J. Schonebeck. ln der Begrüßungsansprache von Bergassessor Röcken hört man einen ersten vagen Hinweis auf die kommende Stadt. Nachdem er technische Details des Abteufens erläutert hatte, betonte er: "Dass wir aber auch an die Probleme herangehen, die durch die zu erwartende Unterbringung von rund 8 000 Mann Belegschaft mit ihren Familien entstehen, darf ich lhnen versichern. Wir werden uns auch dabei von den modernsten Erkenntnissen leiten lassen, allen Anforderungen gerecht zu werden."

lm Vordergrund aller Festansprachen stand der Gedanke, dass die deutsche Kohle die Grundlage fur die deutsche Energieversorgung sein muss. Ludwig Erhard verbreitete Hoffnung und Zuversicht. Aber die dunklen Wolken am Horizont der deutschen Kohle verdichteten sich.

Georg Wittwer hat es 1980 in dem Buch "Das andere Wohnen" kurz und bündig so formuliert: "Die in den 60er Jahren abnehmende Bedeutung der Kohle führte praktisch zum Entzug der wirtschaftlichen Entwicklungsbasis."
Das sah sein Vorgänger im Amt der Geschäftsfuhiung der Entwicklungsgesellschaft Wulfen - Erich Zahn - ganz anders. Er konnte im Meinungsstreit um die Frage "Neu- Wulfen nur Bergbaustadt oder zusätzlich noch etwas anderes?", auf ein Gutachten aus dem Jahre 1963 verweisen. Darin hatte einer der besten Kenner der Landesplanung - Dr. K.H. Tietzsch - untersucht, welche Auswirkungen auf die Stadtentwicklung bei normalem, zügigem Aufbau der Schachtanlage auftreten würden, welche bei großen Unterbrechungen, aber auch bei völligem Ausfall des Bergbaues. Darum ging es 1967 bei den vielzitierten Baustoppanträgen im Wulfener Gemeinderat. Dahinter verbirgt sich das Problem, ob die Neue Stadt Wulfen in Kenntnis des Wegfalls der Hauptarbeitsstätte Schachtanlage rechtzeitig auf "eine Nummer kleiner" hätte gepolt werden können. Eine Frage, die letzten Endes unbeantwortet geblieben ist.

Dann kam es 1960 trotz aller Widersprüche und Bedenken zur Gründung der Entwicklungsgesellschaft Wulfen (EW), deren Gesellschafter zunächst die Stinnes AG, der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk, Landkreis Recklinghausen und das Amt Hervest-Dorsten waren. Später traten die Gemeinden Wulfen und Lembeck sowie die Westdeutsche Landesbank hinzu. Eine solche Gesellschaft - so erwartete man jedenfalls - war als Träger der Stadtentwicklung geeigneter als eine behördliche lnstitution.
Gleich nach ihrer Gründung hatte die EW zwei große Aufgaben zu erledigen. 1. An- kauf der Grundstücke für das Stadtareal, 2. Organisation des städtebaulichen ldeenwettbewerbs. Häufigste Vertragspartner bei den Grundstückskäufen waren Landwirte, die anderswo Ersatzhöfe bekamen.

Den internationalen städtebaulichen ldeenwettbewerb gewann Prof. Fritz Eggeling, Berlin, der seinen preisgekrönten Entwurf wie folgt erläuterte: Eine neue Stadt zu planen in einer so wunderbaren, von der zukünftigen Bestimmung kaum angetasteten Landschaft wie in Wulfen, sei eine seltene Aufgabe. Die zukünftige Stadt Wulfen als Ganzes erlebbar zu machen und in ihren Teilen aus der Einheit zu entwickeln, sei der Grundgedanke des Entwurfs. Er sei der Ansicht, dass die Stadt in ihrer Größenordnung von 50 000 Einwohnern ein überschaubarer Erlebnisbereich sei. ln ihrer rings von herrlicher Landschaft umgebenen Lage werde die Gefahr einer städtischen Verdichtung für geringer erachtet als die der Zersiedlung.
Der 1966 verstorbene Fritz Eggeling und seine in einer Planungsgruppe zusammengefassten Mitarbeiter wurden auch mit der weiteren städtebaulichen Planung beauftragt. So konnte 1963 der Gesamtaufbauplan vorgelegt werden. Die ersten Wohnungen und eine Grundschule wurden 1967 belegt.

Der Autofahrer auf der B 58 sah in den ersten Jahren immer nur die Umrisse von mehrgeschossigen Wohnungsbauten, so dass sich die Frage stellte: Wo bleibt hier eigentlich das "Häuschen im Grünen"? Die Antwort der Planer: Zunächst müsse Mietwohnungsbau den Vorrang haben, um eine bestimmte Bevölkerungszahl zu erreichen, ohne die Gemeinschaftseinrichtungen nicht tragfähig seien. Den kräftigen Schub in Richtung Eigenheim brachte "Die Deutsche Fertighausausstellung Wulfen 1970".

Die Ausstellung erwies sich als Glanzpunkt der Aufbaujahre und lockte vom 15. Mai bis zum 20. September 1970 rund 250 000 Besucher nach Wulfen. Beteiligt waren 13 Firmen mit 24 Häusern. Das lnteresse galt nicht,nur den Angeboten der Fertighausindustrie, sondern auch der Stadtentwicklung. Nun war das freistehende Einfamilienhaus - möglichst noch mit Schrebergartenidylle - nicht der Schwerpunkt des Neu-Wulfener Wohnungsbaus, vielmehr hatte das Wort "Verdichtung" hier besonderen Stellenwert. Die Veranstalter, Wohnzeitschrift "zuhause", Bundesverband Montagebau und die EW fanden eine Lösung mit einer in sich geschlossenen Einfamilienhausgruppe im StiI von Gartenhofhäusern, die sich später gut verkaufen ließen.

Und die entstehende Stadt hatte weitere städtebauliche Paradepferde zu bieten, die sie zum Mekka für Architekturstudenten werden ließen. Die Bezeichnung ,,demonstrative Versuchsbauten" deutete darauf hin, dass Risiken mit im Spiel waren. Metastadt ist hier an erster Stelle zu nennen, der Prototyp eines industriell gefertigten Montagebausystems, 1973l74 gebaut. Eine Stahlkonstruktion bildet das Tragwerk, in das die Ausbausysteme eingefügt werden. Das für variable Nutzungen konzipierte Gebäude enthält etwa 100 Wohnungen, Geschäfte, Büros und einen Kindergarten. Aber schon nach 13 Jahren musste Wulfens spektakulärster Versuchsbau abgebrochen werden. Aus der "Überstadt" (so die Übersetzung aus dem Griechischen war ein Demonstrationsobjekt für Bausünden geworden. Architekt Richard Dietrich aus München muss auf die "Saupreußen" furchtbar geschimpft haben: lndem sie Sozialen Wohnungsbau daraus machten, hätten sie den Clou des ganzen, die Flexibilität der Wohnraumaufteilung, zerstört. Dietrich soll sich schmollend in einen bayrischen Schlupfwinkel zurückgezogen haben. Dort ist er dem Vernehmen nach Anhänger des biologischen Bauens geworden.

Erst hochgelobt - dann gnadenlos runtergeputzt. Fast genauso erging es Habiflex, dem Ojekt der Gelsenkirchener Architekten Klement und Gottlob. 40 bungalowartige Wohnungen zu einem Baukörper mit offenem Treppenhaus im lnneren - das sei eine tolle ldee, bestätigten alle Architektenkollegen. Besondere Attraktion ist hier der ,,Gelsenkirchener Balkon". Er besteht aus faltbaren Türen und Fenstern, die sich auf Gleitschienen bewegen lassen. So kann der Balkon im Winter dem Wohnzimmer zugeschlagen werden. Vorausgesetzt, die Technik funktioniert. Habiflex hatte den großen ,,Schönheitsfehler", dass an vielen Stellen Wasser eindrang. So ging das Gebäude als "Tropfsteinhöhle" in die Wulfener Baugeschichte ein.

Am wenigsten spektakulär, aber dafür solide und von dauerhaftem Wert: Finnstadt, ein Projekt von Toivo Kohonen aus Helsinki. Es handelt sich um Eigentumswohnungen mit großzügigen Terrassen als Alternative zum Eigenheim.

Auch wenn hier nur punktuell auf einige Besonderheiten und herausragende Ereignisse der Stadtentstehung eingegangen wird, so sollten doch ein paar Fakten erwähnt werden, die ihr verdientermaßen das Prädikat "modellhaft" einbrachten:

  • der Grünaufbau im Einklang mit der Natur
  • gesonderte Fußwege, die - vor allem Kindern - Schutz vor dem Kfz-Verkehr gewährleisten
  • Gemeinschaftshaus mit Freizeitbadanlage