Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen / Rudolf Plümpe
Dieser Text des Dorstener Chefredakteurs erschien 1999 in der Sonderbeilage "50 Jahre RUHR-NACHRICHTEN".
Von Rudolf Plümpe stammt außerdem eine sehr informative neunteilige Zeitungsserie
"Neu-Wulfen : Von der Modellstadt zum Stadtteil" in den Ruhrnachrichten (Lokalausgabe Dorsten), ab 27.12.1989
Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen
Die Entstehung der neuen Stadt Wulfen war das größte kommunale Ereignis Dorstens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Entstehungsgeschichte der Neuen Stadt Wulfen beginnt mit der Kohle. Die Zechengesellschaft Mathias Stinnes AG wollte angesichts ihrer langsam zu Ende gehenden Kohlereserven das "schwarze Gold" aus den reichhaltigen Lagerstätten in Wulfen gewinnen. Dazu brauchte man Arbeitskräfte, also bestand Wohnraumbedarf.
Die Größenordnung richtete sich nach den veranschlagten Zahlen: Es sollte eine Großschachtanlage mit 12 000 Tagestonnen ververtbarer Forderung werden. Die dazu erforderliche Belegschaft hatten die Stinnes AG und der damals für Landesplanung zuständige Ruhrsiedlungsverband mit 5 000 Mitarbeitern eingeschätzt, einschließlich der Familien rund 20 000 Bewohner. Dazu ein bisschen Landwirtschaft, so genannte Ausgleichsindustrie und Dienstleistungsberufe ergaben unterm Strich 50 000 Einwohner. Um dafür Wohnraum zu schaffen, wurde Neu-Wulfen geplant.
Allerdings standen solche Überlegungen, noch bevor sie konkreter wurden, vor einem zwiespältig-widersprüchlichen Hintergrund. Auf der einen Seite Bevölkerungszunahme des Reviers rnit verstärkter Randwanderung aus den Großstädten in Richtung Norden und allgemein günstige Entwicklung der Wirtschaft - auf der anderen Seite seit 1957 Strukturwandel bei der Steinkohle mit anhaltender Absatzkrise. Trotzdem wird mit einem - seinerzeit auch sicher berechtigten - Optimismus an der Stinnesplanung mit ihren städtebaulichen Folgen festgehaiten.
Ein interessantes Zeitdokument, das "Sonderheft Wulfen" der Stinnes-Betriebe, spiegelt die damalige Stimmungslage eindruckvoll wider. Das Titelfoto des Heftes zeigt Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard, eingerahmt von NRW-Minister Kohlhaase und Generaldirektor Kemper auf dem Weg zur Besichtigung der Abteufanlage. lm Texteil ist die Rede vom 23. Juni 1958, der mit ehernen Lettern in die Geschichte der Bergwerksgesellschaft eingetragen werde und auch in die Annalen des westdeutschen Steinkohlenbergbaus als der Tag, an dem erstmalig nach dem 2. Weltkrieg wieder ein erster Spatenstich zu einer Großschachtanlage vollzogen urrd der erste Bergekübel zu Tage gebracht wurde.
Es war sehr feierlich: Fahnen schmückten die Einfahrt von der B 58 zum Zechengelände und unter den Ehrengästen sah man Cläre Hugo Stinnes-Wagenknecht, Bischof Keller aus Münster, IGBE-Chef Gutermuth, Amtsbürgermeister Hatkämper und Wulfens Bürgermeister J. Schonebeck. ln der Begrüßungsansprache von Bergassessor Röcken hört man einen ersten vagen Hinweis auf die kommende Stadt. Nachdem er technische Details des Abteufens erläutert hatte, betonte er: "Dass wir aber auch an die Probleme herangehen, die durch die zu erwartende Unterbringung von rund 8 000 Mann Belegschaft mit ihren Familien entstehen, darf ich lhnen versi- chern. Wir werden uns auch dabei von den modernsten Erkenntnissen leiten lassen, allen Anforderungen gerecht zu werden."
lm Vordergrund aller Festansprachen stand der Gedanke, dass die deutsche Kohle die Grundlage fur die deutsche Energieversorgung sein muss. Ludwig Erhard ver- breitete Hoffnung und Zuversicht. Aber die dunklen Wolken am Horizont der deut- schen Kohle verdichteten sich.